Shit happens. Das große Abenteuer, 5 Wochen ohne Geld durch Österreich, ist gerade erst vorbei und dann das! Wenige Tage nach meiner Rückkehr, säbele ich mir mit der Motorsäge (kein Scherz) fast den Ringfinger der rechten Hand ab. Was sagt man dazu? Die großen Gefahren lauern offenbar nicht auf Reisen, im Haushalt passieren bekanntlich die schlimmsten Unfälle. Nach ein paar Stunden in der Komfortzone, lässt die Konzentration nach, die Spannung fällt ab, ein Moment der Unachtsamkeit und schon ist es geschehen. Damit muss man umgehen können. Bis zur Hochzeit, oder bis zum nächsten Abenteuer, wird es schon wieder halbwegs werden. Ich habe jetzt viel Zeit, meine Gedanken und Photos zu ordnen und Material für mein Buch zusammen zu stellen. Anfragen für Vorträge gibt es auch schon. Ich halte euch am laufenden. Die Moral von der Geschicht: Unterschätze deine Komfortzone nicht!
25. August, Letzter Eintrag Tagebuch
Diese Zeilen hat mir ein guter Geist unterwegs zugesteckt. Die Worte haben mir Kraft und Mut gegeben. Mag sein, dass es etwas kitschig ist, aber hinter manchem Kitsch verbirgt sich auch das ganz große Gefühl, das uns am Leben erhält. Ich danke allen, die mich in welcher Form auch immer, begleitet haben. Und ich wünsche euch das, was mir mit diesem Gebet mit auf dem Weg gegeben wurde, ich wünsche euch Mut und Glut in den Beinen und im Herzen!
May the long time sun shine upon you,
All love surround you,
An the pure light within you
Guide your way on
farewell blessing
25. August, Zu Hause
Was ist Heimat? Wo bin ich zu Hause? Ich finde Heimat in den Geschichten, die mir erzählt werden und die ich versuche, weiter zu geben. Zu Hause fühle ich mich nicht an einem Ort im Draußen, im Inneren liegt ein zu Hause, das überall auf der Welt sein kann, und Familie sind dann nicht nur die Verwandten (obwohl meine Tochter natürlich immer die Nummer Eins ist), Familie sind dann alle, die im gleichen Geist verbunden sind. Der Geist jener, die sich auf den Weg machen, die das Leben nicht als Problem sehen, sondern als Abenteuer, die unterwegs sein wollen, um nicht auf der Strecke zu bleiben.
25. August, Danke
Diese beiden haben mich mitgenommen. Stellvertretend für alle, die mich in den vergangenen 36 Tagen aufgeklaubt haben, mir zu trinken oder zu essen gaben, mir ein Dach über dem Kopf geboten haben, oder einfach nur ein gutes Wort, gehe ich auf die Knie und sage “Danke”! Das ist vielleicht das Schönste am Menschsein, dass man nicht ohne die anderen kann, dass man sich selbst nur in der Begegnung mit anderen Menschen findet, dass man der einsamste Mensch der Welt sein kann, wenn man zwar von Geld aber nicht von Freunden umgeben ist und dass man der Glücklichste von allen ist, mit leeren Taschen im Kreis von Menschen, bei denen die Freundlichkeit im Herzen wohnt. Und noch einmal: DANKE!
25. August, Tramping Home
Ein letztes Mal schreibe ich einen Ort auf meine Tafel. Salzburg. Im Eiltempo werde ich an den Plätzen vorbei rauschen, die ich in den letzten Wochen, teilweise im Schneckentempo, bewältigt habe. 5 Wochen lang hat mich die Hitze begleitet, nur zwei Regenschauer, was für ein Sommer, was für ein Trip! Ich bin so aufgeregt, wie seit langem nicht mehr und bete, dass mich bald jemand aufklauben wird.
25. August, Glück gehabt
Ich will hier keine Schreckgespenster an die Wand malen. Aber, ich will sagen, ich habe verdammt viel Schwein gehabt, auf meiner Tour. Ich danke dafür allen Schutzengeln, die mich begleitet haben, vor allem den menschlichen. Mein Selbstversuch hätte böse enden können, es gibt da ein paar Geschichten, die ich in diesem Rahmen nicht erzählen kann. Sie werden Eingang in die Buchversion finden. Jede Geschichte, braucht ihren richtigen Platz. Diese hier, ist in wenigen Stunden zu Ende.
25. August, Feldkirch
Back in Austria. Ich glaube, das wird der letzte Tag meiner Reise sein. Über 5 Wochen bin ich jetzt ohne Geld unterwegs, ich wüsste nicht, was es für mich hier noch zu erleben gibt, ich will ehrlich sein: Ich will einfach zurück nach Hause. Talent heißt, zu wissen, wann es genug ist. Bald wird mein Selbstversuch Geschichte sein.
24. August, Überraschung
Überall gibt es freundliche Menschen. Natürlich auch in Liechtenstein. Gerade wenn man am wenigsten damit rechnet, wird man mit einem Premium-Schlafplatz verwöhnt. Letztlich hängt es auch damit zusammen, wie offen man selbst auf Menschen zugeht. Klingt trivial, aber wie man in den Wald hinein ruft, so schallt es zurück.
24. August, Das Schloß
Franz Kafka lässt grüßen. Das Schloß der Fürstenfamilie ist nicht zu betreten. Was habe ich erwartet? Zumindest einen Schluck Wasser, wenn ich freundlich frage. Der Schluck Wasser ist auch drin, vom Pförtner gespendet, doch für mehr ist man hier, wie schon beim großen Kafka, nicht zuständig, man müsse sich an eine andere Stelle wenden. Ich glaube, ich will zurück nach Österreich! (Eintrag wurde aufgrund einer Ungenauigkeit am 27. August überarbeitet)
24. August, Diamonds
Mit Diamanten ist das so eine Sache. Die lassen sich einfach nicht so leicht zerkauen. Luxus-Artikel gibt es hier bis zum Erbrechen, ein einfaches Stück Brot, ist für mich nicht zu haben. Da ist einmal die Sprachbarriere, der Dialekt ist hier kaum zu verstehen, und wer kein Geld hat, solle arbeiten gehen, sagt man mir mehrmals.
24. August, Vaduz
Liechtenstein. Vaduz. Warum nicht? Der sechstkleinste Staat der Welt. Eine legendäre Steueroase. Seit 1984 dürfen hier auch Frauen wählen. Seit dem Auffliegen diverser Steueraffären, fährt man im Fürstentum eine so genannte Weissgeld-Strategie. Kein Schwarzgeld mehr. Keine Geldwäscherei. Ich kann nur beurteilen, was sich aus der Perspektive des mittellosen Wanderers erfahren lässt.
23. August, Heimat
Erspartes braucht keine Heimat. Geld ist kein lebendiges Wesen. Wenn wir es schon brauchen, dann soll es zumindest in Bewegung bleiben und rasch den Besitzer wechseln. Sich im Stillen, fröhlich zu vermehren, zu Gunsten einiger weniger, ist ein großes Übel unserer Zeit. Heimat findet man dort, wo Geld keine Rolle mehr spielt. Nichts, was wirklich Bedeutung hat, ist um Geld zu haben.
23. August, Blauer Platz
Kurios. In Lustenau gibt es einen “blauen Platz”. Der FPÖ Bürgermeister liess den Hauptplatz des Ortes in seiner Lieblingsfarbe streichen, zur größeren Ehre der blauen Partei. Die gute Nachricht. Die Farbe blättert ab. Der Glanz vergeht. Der Lack ist ab. Blau geht unter und das ist (meiner Meinung nach) kein bisschen schade.
23. August, Nächstenliebe?
Seit über 5 Wochen gehe und trampe ich durch Österreich. Ich bin an tausenden Wahlplakaten vorbei gewandet. Die meisten sind dümmer, als die Polizei erlauben sollte. Dieses Plakat der FPÖ schlägt aber alles. Blanker Zynismus. Genauso gut könnte man eine Daumenschraube plakatieren und sie mit dem Slogan “Fingerspitzengefühl” versehen. Mir tut nur die Dame leid. Es sollte tatsächlich verboten werden, Menschen jedes Alters für solche Zwecke zu missbrauchen.
22. August, Blaue Zehe
Meine Tour geht langsam aber sicher zu Ende. Seit 5 Wochen trage ich keine Geldtasche bei mir. Habe nicht einen Cent einstecken. Ich habe mich daran gewöhnt. Alles wird einmal Routine, auch das Dasein als mittelloser Tramp. Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben, aber so wie es aussieht, habe ich verdammt viel Glück gehabt und werde mein Abenteuer unbeschadet überstehen. Ich bin mit einer blauen Zehe davon gekommen.
22. August, Abbau
Die Bregenzer Festspiele sind zu Ende. Das Bühnenbild der “Zauberflöte” wird abgebaut, oder winterfest gemacht. Meine Kräfte schwinden. Bis jetzt haben sie sich nach wenigen Tagen immer wieder erneuert. Doch nach 5 Wochen, sind meine Reserve-Akkus nahezu leer. Wird Zeit, wieder nach Hause zu gehen.
20. August, Magic Moments
Anna hält eine Decke mit einem Zitat von Jorge Luis Borges in Händen. Diese Zeilen haben mich zugedeckt und meine Träume begleitet. So gut, habe ich in meinem Leben noch nicht geschlafen.
“Wenn ich mein Leben noch einmal leben könnte,
im Nächsten Leben würde ich versuchen, mehr Fehler zu machen.
Ich würde nicht so perfekt sein wollen,
ich würde mich mehr Entspannen.
Ich wäre ein bisschen verrückter, als ich es gewesen bin,
ich würde viel weniger Dinge so ernst nehmen.
Ich würde nicht so gesund leben.
Ich würde mehr riskieren,
würde mehr reisen,
Sonnenuntergänge betrachten,
mehr Bergsteigen,
mehr in Flüssen schwimmen.
Ich war einer dieser klugen Menschen,
die jede Minute ihres Lebens fruchtbar verbrachten;
freilich hatte ich auch Momente der Freude,
aber wenn ich noch einmal anfangen könnte,
würde ich versuchen, nur mehr gute Augenblicke zu haben.
Falls du es noch nicht weißt,
aus diesen besteht nämlich das Leben;
nur aus Augenblicken;
vergiß nicht den jetzigen.
Wenn ich noch einmal leben könnte,
würde ich von Frühlingsbeginn an
bis in den Spätherbst hinein barfuß gehen.
Und ich würde mehr mit Kindern spielen,
wenn ich das Leben noch vor mir hätte.
Aber sehen Sie … ich bin 85 Jahre alt
Und weiß, daß ich bald sterben werde.”
Jorge Luis Borges zugeschrieben
20. August, Polizei
Hab ich schon erzählt, dass ich auf meiner Wanderung bereits zweimal von der Polizei aufgegriffen wurde? Einmal in Eisenstadt, einmal in Lienz, einmal hielt man mich für einen abgebrannten Landstreicher, einmal für einen fiesen Einbrecher. Ich habe versucht, ihnen mein Projekt zu schildern, aber ich glaube, die Gesetzeshüter hielten mich für geisteskrank. In beiden Fällen, ließen sie mich aber ziehen, was im Zweifelsfall für den Freund und Helfer spricht.
20. August, Innsbruck
Golden Rain. Was für eine Abkühlung! Einzig, mein blauer Schirm steckt in der Identitätskrise. 4 Wochen lang versuchte er sich daran zu gewöhnen, dass er ein Sonnenschirm geworden ist und so knapp vor der Zielgeraden, fängt es dann doch noch zu schütten an. Armer, blauer Regen-Sonnen-Allwetter-Schirm.
18. August, Hände in die Höhe!
Gezählte 114 Mal fordern die “Jungen Zillertaler” ihre Fans auf, die Hände in die Höhe zu reißen. Ein Mantra, das sich für mich wie eine Steinigung anfühlt. “Hände in die Höhe!” Das wird in meine Alpträume einfließen. Ich habe ja Verständnis, wenn man die Alltagssorgen mit Bier und Volksmusik ertränken will, doch muss man dazu andauernd die Hände in die Höhe reißen? This is no place for me.
18. August, In der Höhle der Party-Löwinnen
Ich habe es tatsächlich geschafft. Mit etwas Überredungskunst, bin ich ohne einen Cent, ins Herz der Volksmusik-Szene vorgedrungen. Das Überleben ist aber noch lange nicht gesichert. Als geschwächter Wanderer, muß man diese Beschallung erstmal verdauen. Mir fehlt natürlich auch die passende Uniform. So muss man aussehen, wenn man am Puls der Schlager-Zeit sein will.
18. August, Zillertal
Strass im Zillertal. Ein Ufo-Landeplatz, nein, ein Volksmusik-Spektakel! Das Open Air der “Jungen Zillertaler” kommt mir in die Quere. Da muss ich durch. Wenn man schon ohne Geld durch Österreich unterwegs ist, darf man beim Abendprogramm nicht wählerisch sein. Ich muss nehmen, was auf mich zu kommt. Mal sehen, ob ich überhaupt hinein komme, ganz ohne Kohle.
18. August, Fliegengewicht
Wenn dich Einer auf die linke Wange schlägt, dann halte ihm auch die Rechte hin. So, oder so ähnlich, hat es in derKlosterschule, in der ich gewesen bin, geheißen. Mein Kampfgewicht ist nicht optimal. Ich bin so etwas wie Substandard-Fliegengewicht. Ein Kinnhacken würde mich glatt für immer zu Boden strecken. Ich ziehe weiter.
18. August, Freiheit der Schnecken
Glitschiges Erwachen im Freigarten in Wörgl. Hier ist das Geld befreit, der Garten auch und die Nacktschnecken sind entfesselt. Wer im Wilden Westen nächtigt, sollte die Stiefel am Morgen auf Klapperschlangen untersuchen. Wer im Freigarten in Wörgl schläft, muss seine Schuhe von einer nackten Großfamilie befreien. Offenbar wurden sie vom Edel-Schimmel-Käse meiner Sandalen angezogen. Ich habe viel übrig für Schnecken, aber so viel Schleim am Morgen muß nicht unbedingt sein.
17. August, Freigeld
Ich mache im “Unterguggenberger Institut” in Wörgl Station. Mit einer lokalen Tauschwährung startete die Tiroler Gemeinde, unter Bürgermeister Unterguggenberger, 1923 in der Weltwirtschaftskrise, ein Freigeld-Experiment, das weltweit Aufsehen erregte. Das schier Unmögliche gelang, das Geld fing wieder zu zirkulieren an, die Wirtschaft erlebte in Wörgl, mitten in der Rezession, einen Aufschwung, bis die Österreichische Nationalbank eingriff und das Freigeld-Experiment beendete. Das “Wunder von Wörgl” ging in die Geschichte ein und kann noch heute Anstoß sein, um Geld “anders” zu denken.